1. autologe Stammzelltransplantation

8.11.2007 Donnerstag

Ich fahre morgens nach Göttingen zu einem ambulanten Termin. Heute sollen die Voruntersuchungen für die Hochdosischemo gemacht werden, außerdem ein Planungsgespräch mit dem Arzt und nicht zuletzt das Fäden ziehen beim Zahnarzt.

Ich genieße es, selber fahren zu können, was in der letzten Zeit ja nicht immer möglich war.

Rechtzeitig komme ich in die Ambulanz und nach der üblichen Blutabnahme (ich glaube diesmal waren es mindestens 8 Röhrchen) gehe ich bewaffnet mit 4 farbigen Zetteln auf Untersuchungstour. Erst EKG, dann Lungenfunktion, dann Ultraschall, dann Röntgen und zuletzt noch das Fäden ziehen bei den Zahnmedizinern.

Es dauert ewig. Ich bin fast 3 Stunden unterwegs bis ich wieder in der onkologischen Ambulanz ankomme und fühle mich sehr gut untersucht. Es geht darum, alle möglichen Infektionen oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen, bevor die Hochdosischemo startet, um Komplikationen vorzubeugen.

Nach weiteren 60 Minuten Wartezeit bin ich endlich mit dem Arztgespräch dran. Dr. J. nimmt sich viel Zeit. Ich glaube, wir reden über eine Stunde.

Bei Krebs geht es darum, dass Arzt und Patient miteinander entscheiden, was gemacht werden kann und was nicht.

Es zeigt sich wieder, dass der gut informierte Patient auch für den Arzt wichtig ist.

Vorschläge, die er macht, sind mir dann nicht fremd, sondern ich versuche sie für mich einzuschätzen. Er schlägt vor, auch eine allogene (Fremdspender) Stammzellentransplantation in Betracht zu ziehen. Ich sage ihm, dass die Unberechenbarkeit der Nebenwirkungen und das Todesfallrisiko von 30% und mehr mir zu riskant sind.

Ok, das kann er verstehen, dennoch wollte er es rechtzeitig ansprechen.

Nebenbei finde ich von ihm heraus, dass ich nun doch einen bestimmten Chromosomendefekt (13q-Deletion) habe, der die Prognosen für die Zukunft nicht gerade positiv gestaltet.

Gleichzeitig ist aber das Ergebnis der bisherigen Behandlungen mehr als positiv. Die Chemos haben sehr gut angeschlagen.

Also wem soll man glauben?

Wahrscheinlich am Besten nicht verrückt machen.

Worte wie "Mittlere Überlebenszeit" und "Todesfallquote" gehören ja nicht unbedingt zu den Worten, die einem Betroffenen Mut machen.

Auf der anderen Seite gibt es neue Medikamente, die vielleicht auch eine längerfristige Behandlung möglich machen.

Ironie des Schicksals: Während im Fernsehen der Film über Conterganopfer läuft, ist der Wirkstoff seit einiger Zeit wieder im Gebrauch bei er Behandlung des Multiplen Myeloms.

Auch Weiterentwicklungen davon sind auf dem Markt mit geringeren Nebenwirkungen und Preisen, von denen man nur träumen kann. Das Medikament Revlimid kostet für 21 Tage so um die 6000 Euro!

Man kann also an Krebspatienten gut verdienen.

Vom Arzt bekomme ich noch wieder ein Dokument mit, in dem es um Aufklärung bezüglich der Hochdosischemo und der anschließenden Stammzellentransplantation geht.

Auf der Rückfahrt gehen mir viele Dinge durch den Kopf. Die Gefährlichkeit der Behandlungen, die Aussicht auf ein kürzeres Überleben wegen des Chromosomendefekts, Unsicherheit, weil man eben nicht weiß, welche Nebenwirkungen bei der kommenden Behandlung auftreten können und dennoch die Zuversicht, dass alles gut verlaufen wird, ohne die es nicht geht.

Insgesamt geht es mir viel besser als noch vor 3 Wochen, die Werte haben sich weitgehend normalisiert, ich genieße es, fast wieder normal den Tag erleben zu können und bin dankbar dafür.

Freitag 9.11.2007

Ich telefoniere mit Göttingen und erfahre, dass es bereits am 22.11. losgehen soll. Station "Holland" 01.23 im Uniklinikum.

Isolierstation für Transplantationen. Es wird aber im Zweibettzimmer untergebracht.

Besuch möglich, aber nur gesunde Leute, alle anderen bitte nicht.

Wenn alles gut geht, bin ich Weihnachten wieder zu Hause...

Die Unsicherheit vor der Behandlung bleibt. Wieder etwas Neues, wieder eine Behandlung, die man nur aus den Erklärungen anderer kennt und nichts mit den anderen gemein hat.

Vertrauen ist notwendig, vor allem auch in die Kompetenz der Ärzte, aber auch in den eigenen Körper.

10.11. bis 21.11

No news is good news!

Das merke ich gerade als ich sehe, dass es nun schon wieder fast 2 Wochen her ist, dass ich die Homepage aktualisiert habe. Ja, es geht mir wirklich besser in den Wochen nach Rückkehr aus Göttingen. Wahrscheinlich auch weil der Körper endlich Zeit hat, sich ohne Medikamente zu erholen.

Ich nehme zwar immer noch nicht an irgendwelchen Marathons teil, aber der Standardweg bis zum Ende des Dorfes und zurück fällt immer leichter und ich muss auch nicht mehr danach eine halbe Stunde auf dem Sofa liegen, ehe es weitergehen kann.

 

Eines muss ich ja zugeben, ich habe in den letzten Tagen nochmal einige schöne Essen zubereitet...wer weiß, was ab morgen in Göttingen wieder auf mich zukommt.

Und eine Tube Senf kommt auch wieder ins Gepäck, für Notzeiten...

So, nun muss ich aber meine Koffer packen, denn morgen früh gegen 8 Uhr geht es dann mit der Hilfe einer Kirchenvorsteherin aus Hellental Richtung Göttingen.

Damit steht dann auch fest, dass die nächste Aktualisierung der Homepage wohl erst um Weihnachten herum stattfinden wird.

Macht es gut!

 

23.11.2007 - Freitag

Ich sitze am internetfähigen Computer im Aufenthaltsraum der Station "Holland" in Göttingen und aktualisiere die Homepage - das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass das geht. Wir haben freien Internetzugang. Ich bin also ohne Problem wie normal zu erreichen. Telefon wurde auch schon von einigen genutzt - das ist Super. Man fühlt dann das Eingeschlossensein nicht so sehr!

Gestern kam ich dank einer Kirchenvorsteherin aus Hellental rechtzeitig nach Göttingen, wurde aufgenommen in ein Zweibettzimmer mit einem netten Herrn meines Alters vom Bundesgrenzschutz.

Pfarrer und Polizist in einem Raum - da kann ja nix mehr schiefgehen. Wir kommen gut klar, er ist schon 2 Wochen hier und kennt viele Einzelheiten. Das ist gut.

Gestern Nachmittag bekam ich auch gleich in einer kleinen OP (im Zimmer) einen zentralen Venenzugang am Hals gelegt, dessen Kanüle bis ans Herz vorgeschoben wurde. Jetzt kann die Chemo darüber gegeben werden und auch die vielen Blutkontrollen sind nicht mehr mit Stechen verbunden, was die Infektionsgefahr mindert.

Tja, und heute Morgen wurde dann die erste Dosis Melphalan innerhalb einer Stunde gegeben, das ist das Hochdosismedikament. Dank der zuvor gegebenen Übelkeitsmedikamente habe ich bis jetzt (es ist knapp 19 Uhr) keine Probleme.

Ich kriege viel Flüssigkeit zum Ausschwemmen der Giftprodukte und trinke stilles Wasser wie ein Weltmeister. Müsste eigentlich selber schon ganz still sein… das klappt aber nicht!

Verpasst habe ich die Bundesgesundheitsministerin, die vor drei Tagen genau diese Station und genau mein Zimmer besucht hat und auch mit meinem Zimmernachbarn ein intensives Gespräch geführt hat. Ob ich etwas verpasst habe, weiß ich allerdings auch nicht, hihi.

Das schon weiter oben erwähnte Essen kommt mir bekannt vor. Es begann heute Morgen gleich wieder mit der berühmten Truthahnmortadella auf norddeutsche Art.., die ging aber zurück. Ich kann so etwas einfach morgens nicht essen...noch ist der Geschmack da und in der Patientenküche kann man sich auch zwischendurch etwas bereiten. Es ist alles an Kochgeräten inkl. Mikrowelle, Ofen etc vorhanden. Im Kühlschrank kann man seine eigenen Sachen lagern.

Kurz gesagt: Es ist eine Super Station mit allen notwendigen Einrichtungsgegenständen. Auch für die Bewegung sind Trimmgeräte da, die man verwenden kann, um nicht vollkommen abzubauen.

Ich werde in den nächsten Tagen dann mehr berichten und freu mich über jedes "Lebenszeichen" von Euch!

Sonntag, 25.11.2007

So, zwei Tage Vergiftung sind vorbei und bisher ohne größere Schwierigkeiten "verdaut". Heute ist der erwähnte "Waschtag", also nur Wasserinfusionen, damit das Medikament wieder aus dem Körper ausgeschwemmt wird.

Leider habe ich wieder mit Wassereinlagerungen zu tun. Gewichtsunterschiede von 3 Kilo innerhalb eines Tages sind normal und werden dann wieder mit ausschwemmenden Medikamenten auf "natürlichem" Wege entfernt.

Außerdem habe ich eine knallrote Birne vom Cortison, das ich wegen evtl. Übelkeit bekomme und das hoffentlich in dieser Dosierung nicht wieder den Blutzucker ins Unermessliche steigen lässt.

Ansonsten habe ich nach einem "Anpfiff" durch die eine Schwester: "Herr Melcher, sie liegen zu viel rum, dies ist eine Therapie der Bewegung, also bitte Fahrradfahren auf dem Trimmrad etc."

Also habe ich jetzt mein tägliches Trimmprogramm begonnen und steigere pro Einheit um jeweils eine Minute.

Das tut gut und außerdem kommt dann so etwas Rhythmus in den Tag. Im selben Raum steht der Computer und so lässt sich das Trimmen mit einer Aktualisierungs"sitzung" dieser Homepage verbinden.

Ich sitze also mit Mundschutz an der Tastatur, denn immer, wenn ich das Zimmer verlasse, muss ich den anziehen. Es geht also um Viren und Bakterien der hiesigen Station, weniger um die Computerviren, hi, kleiner Scherz am Rande (Danke Joseph dafür!).

Gleich gehe ich wieder ins Zimmer und werde dann 1 Liter Wasser mit Kaliumanteilen angehängt bekommen, der sicher bis weit nach 1 Uhr dann dranbleibt. Dann bin ich weniger beweglich und bleibe meist im Zimmer. Außerdem wird wieder Blut abgenommen, immer durch den zentralen Venenkatheder, so dass nichts gestochen werden muss.

Fazit für jetzt: es geht mir immer noch erstaunlich gut. Das schafft Vertrauen für die kommende Zeit.

Montag 26.11. 2007

Nach einer guten Nacht mit zwei "Pinkelpausen" ging es heute Morgen wieder mit den üblichen Messverfahren los. Mein eingelagertes Wassergewicht ist etwas weniger geworden, aber da heute auch wieder mindestens 2 Liter Infusion warten und außerdem noch andere Flüssigkeiten reinrauschen ist mit einem sinkenden Gewicht wohl kaum zu rechnen.

 

Irgendwann sollen heute meine fast noch gefrorenen Stammzellen zugeführt werden. Sie müssen irgendwo im Bereich von 7 Grad Celsius zugeleitet werden, damit sie nach dem Auftauen keinen Schaden nehmen und durch das Kühlmittel wird es dann wohl in unserem Zimmer eher wie in einer südeuropäischen Bar riechen, nämlich nach Knoblauch. Das Mittel wird über die Lunge abgeatmet.

Und dann beginnt die lange Phase des Wartens, erst darauf, dass die ganzen Blutwerte in den Keller sinken und damit die Gefahr jeder kleinen Infektion steigt und dann das bange Warten darauf, dass sich die Werte wieder erholen und die Stammzellen ihre Arbeit, Blut zu produzieren, langsam wiederaufnehmen.

Bis dahin bekomme ich wieder die leukozytensteigernden teuren Granocyte Spritzen mit hoffentlich nicht zu viel Knochenschmerzen, die sich dabei anschließen.

So, bis hierher erst einmal für heute Morgen, vielleicht kann ich nachmittags oder abends noch etwas Neues hinzufügen. Noch immer bin ich guten Mutes und freue mich über jedes einigermaßen normale Verhalten des Körpers.

abends um 19 Uhr

So, die Stammzellen sind zurück in den Körper ohne große Komplikation. Ich war am EKG angeschlossen und in den ersten Momenten gab es einen kleinen Knoblauchgeschmack wegen des Kühlmittels, ein wenig rauher Hals und dann war alles eigentlich schon fast erledigt. Es ist schon komisch, wenn man fast gefrorene Produkte kriegt und davon gar nichts merkt. Nun müssen meine Stammzellen es übernehmen in den nächsten Tagen wieder Blut zu bilden. Bis dahin wird verbraucht, was da ist und das kann dann halt zu den Nebenwirkungen führen. Ich hoffe aber, dass sie nicht allzu schlimm ausfallen werden.

Spülen der Mundschleimhäute hat erste Priorität und die Hoffnung, dass keine anderen blöden Infektionen dazukommen.

Heute ist Tag "0", ab sofort wird gezählt.

Ab Tag 5 erhalte ich wieder die sündhaft teuren Granocyte Spritzen, damit die Leukozyten wieder steigen. Letztes Mal hat es ja ganz gut damit geklappt.

Wichtig finde ich einfach, dass nun die Unsicherheit weg ist, die mit der eigentlichen Hochdosis und der Stammzellentransplantation verbunden waren. Es ist dieses bekannte Phänomen, dass man immer mehr Respekt vor den Dingen hat, die einem unbekannt sind. Aber auch hier wieder ist der Schlüssel das Vertrauen.

Dann sag ich mal gute Nacht. Werde wohl bald wieder aufs Klo müssen, weil man mir etwas zum Entwässern gegeben hat. Keine schönen Themen, aber sehr wichtig hier, hihi.

Tag 1 fehlt, warum?

Gestern war es nicht ganz so "pralle" mit mir. Ich spürte doch eine gewisse Schwäche und das dauernde Wassereinlagern trägt auch nicht gerade zur guten Laune bei.

Dafür dann aber einige nette Anrufe, die dann den Besuch ersetzen, der ja in der jetzt kommenden abwehrlosen Zeit sowieso eher kritisch zu beurteilen ist.

Das Mundspülen geht auf die Nerven, weil der Geschmack natürlich auch nicht soooo berauschend ist.

Morgens ist es mir oft einfach zu hektisch mit den ganzen Mess- und sonstigen technischen Dingen inkl. Bettenmachen, Putzen, Installationen, An- und Abklemmen von irgendwelchen Infusionen...

Abends dann noch ein wenig Fernsehschauen und gegen 21.30 habe ich mich dann umgedreht und geschlafen.

Tag 2 - 28.11.2007

 

Es begann heute nicht gut, mit starken Bauchschmerzen. Alles wird empfindlicher. Im Laufe des von mir überwiegend im Bett verbrachten vormittags dann doch langsam wieder etwas Besserung.

Die Visite weist eigentlich jeden Tag auf die Geduld hin, die man braucht. Und draußen geht das "normale" Leben weiter, während wir uns hier hinter Atemmasken verborgen anschauen.

Wenn man jemanden anlächeln muss, muss man hinter der Maske eine richtige Fratze aufsetzen, damit man überhaupt sieht, dass gelächelt wird.

Alles riecht nach Desinfektionsmittel und leider schmecken auch die Speisen im Moment mir schon nicht mehr.

Der Traum von einem richtig schönen Rumpsteak mit Salz und Pfeffer wird wieder bedrängender!

Ich hoffe, dass der weitere Tag noch ein wenig besser wird. Besuch ist nicht zu erwarten bei mir, aber vielleicht ja irgendwelche Anrufe.

Gleich geht es aufs Trimmfahrrad, aber mehr als 4 Minuten werden sicher nicht drin sein. Die Idee von der täglichen Steigerung habe ich erst einmal als "Idee für bessere Zeiten" abgelegt.

Aber, wie gesagt, Tag 2 ist schon fast halb vorbei!

 

Tag 3 - 29.11.2007

Ein guter Tipp des Arztes: Warum die Tage der Aplasie (niedriger Blutwerte) nicht als Adventskalender gestalten und jeden Tag ein Türchen öffnen. Im Moment wäre es mir dann am liebsten, wenn hinter jedem Türchen ein leckeres Steak oder eine Pizza zu finden wäre, denn außer salzigen Gerichten, schmeckt eigentlich alles andere nach Mundspüllösung und fadem Einerlei.

 

Wahrscheinlich nerve ich Euch mit meinen Gelüsten, aber man nimmt die Anzahl der Kochshows im Fernsehen in solch einer Situation noch erheblich deutlicher wahr als sonst schon. Und wenn da dann so ein leckeres Lammfilet gebraten wird, dann rinnt mir hier schon der Mund...

Der Tag begann heute etwas später, so gegen 7h40 mit dem üblichen Mess- und Wiegeprotokoll.

Dann haben wir es geschafft, die Reinigungsdamen davon zu überzeugen erst ganz spät zu kommen, damit wir in Ruhe duschen und frühstücken konnten. Das hat das erste Mal geklappt!

Und schließlich wurden die Verbände am Hals am zentralen Venenkatheder gewechselt, ein Zeichen dafür, dass bereits eine Woche vorbei ist! Nichts hatte sich entzündet, so dass nun die nächsten Tage der wunderbare Zugang weiter genutzt werden kann.

Die Visite beschränkte sich auf wenige Minuten, es ist im Moment halt auch nicht viel zu sagen. Die Werte gehen nach unten, aber langsam, was ein gutes Zeichen zu sein scheint-

Die Leukos liegen heute bei 1260, der HB Wert immer noch auf 11 und die Thrombozyten bei 120.000. Dafür, dass ich seit Tagen eigentlich kein blutbildendes System mehr besitze, finde ich das schon sehr gut!

Aber, aber, aber - das geht halt jetzt frei nach der Devise: "...und weiter ging's bergab..." - was einfach realistisch ist und keineswegs eine mutlose Äußerung. Alles andere wäre unerwartet.

Ich feure meine Stammzellen jeden Tag an, dass sie auch sich schnell wieder einnisten und die Arbeit aufnehmen und hoffe, dass sie das dann auch tun.

Ich freue mich über manchen Anruf, weil dadurch ein wenig "äußere" Welt hier hereinkommt. Danke!

So, nun geh ich wieder ins Zimmer und werde ganz "unkrankheitsmässig" einfach Bayern München anschauen.

 

Tag 4-7 nach Stammzellenrückgabe, geschrieben am 3.12.2007

Tja, manch einer wird sich gefragt haben, warum es die letzten Tage keine Neuigkeiten gab!

Zuerst war der Computer immer besetzt, wenn ich schreiben wollte und die letzten beiden Tage war ich einfach zu schlapp.

Die Blutwerte sind nun ganz unten, allerdings nur die Leukos, die mit <als 100 markiert wurden (normal wäre das ja so um die 5000). Der HB Wert war auch gestern noch auf 11, zum allgemeinen Erstaunen der Ärzte.

Mittlerweile bekomme ich auch die ersten Spritzen, die diese Leukozyten wieder anregen sollen. Wir haben auf den Beipackzetteln festgestellt, dass die Substanz aus chinesischen Hamstereizellen hergestellt wird (PS: vielleicht kann ich dann bald auf dem Trimm Rad schneller treten---kleiner Scherz am Rande!).

Ansonsten vergehen die Tage zäh wie Honig, das Essen schmeckt nicht und ein wenig erhöhte Temperatur und Durchfall haben die letzten beiden Tage auch beeinflusst.

Es ist nur gut, dass durch geeignete Medikamente auch aufkommende Übelkeit schnell abgekürzt werden kann.

Habe viel geschlafen und gelegen (eigentlich zu viel) und werde die nächsten Tage versuchen müssen, wieder etwas aktiver zu werden, aber wenn es halt nicht geht, geht es nicht. Meine Taktik, mental immer nur einen Tag zu betrachten, scheint gut zu sein.

Viele haben auch schon angerufen und so vergeht der Tag dann auch schneller. Manchmal sag ich dann Bescheid, wenn es zu anstrengend wird, aber meist ist es eine willkommene Abwechslung auf diese Weise "infektionsfrei" Besuch zu bekommen.

Gestern bekam ich auch die Rechnung für den letzten KKH-aufenthalt mit der Mobilisationschemo und der Stammzellenentnahme: 10.800,- Euro!

Dieses Mal wird es sicher an die 20.000Euro ran reichen. Es ist schon verrückt, was wir in unserem Gesundheitssystem (besser muss man ja sagen: Krankheitssystem) für Kosten vor uns herschleppen.

So, so weit für heute. Bis denn! Und nachträglich noch einen schönen 1. Advent!

 

Tag 8-9 Rückzug ins Bett! und Tag 10: Wieder besser drauf!

Die Überschrift sagt fast alles und mancher regelmäßige Leser wird es am Schweigen schon vermutet haben. Es ging nicht, dass ich an den Computer kam. Fieber und Durchfälle haben mich dann doch auf mein Zimmer beschränkt.

Wieder muss man sagen, dass dies nichts Ungewöhnliches ist, sondern von den Ärzten vorher schon prophezeit wurde.

Ab 38 Grad Fieber beginnt hier ein spezielles Programm zu laufen mit Blut und evtl. anderen Untersuchungen, außerdem Lungenröntgen, damit man eine evtl. Lungenentzündung schnell erkennen kann.

Außerdem gleich Infusion von Antibiotika, möglichst breit im Spektrum, weil man in vielen Fällen halt dennoch nicht sagen kann, warum der abwehrgeschwächte Körper nun solche "Zicken" macht.

Ab und zu dann fiebersenkende Infusionen, so dass man wenigstens schlafen kann.

Irgendjemand hatte mir gesagt, dass solche Therapie vergleichbar ist mit der Anstrengung einer Himalayabesteigung....nun kann ich nicht beurteilen, weil ich eigentlich auch bei kleineren Bergen schnell atemlos werde, hihi...aber es ist schon fantastisch, was der menschliche Körper alles erträgt.

 

Wir haben hier einen langjährigen, wortkargen aber tollen Pfleger, der im Moment Nachdienst hat, der mir dann regelmäßig berichtet, wie sich die Blutwerte verändern, da das die Ärzte oft nicht machen, wahrscheinlich, damit man nicht ins dauernde Zahlenchaos stürzt.

 

Kurzer Dialog mit dem Krankenpfleger G. am 5.12.:

Melcher: "Sagen Sie mal, G. wie sieht es eigentlich mit meinen Werten aus?"

G.: "140 Leukos heute, geht bergauf"

Melcher: "Oh, das ist ja gut zu wissen, denn die Ärzte sagen es mir morgens nie!"

G.: "Sind halt nur Ärzte"

Melcher: lacht

G.: " Sie wissen doch, das sind alles Menschen die die Schule abgebrochen haben, um Arzt zu werden..."

Zum Brüllen!

Mancher mag sich fragen, wie so ein Tag dann von mir rumgebracht wird.

Fernsehen kann man ja nicht immer und schlafen auch nur zeitweise. Nun, nachmittags und bis in den frühen Abend kriege ich viele Anrufe und das vertreibt ganz schön die Zeit.

Auch wenn ich manchmal gleich am Anfang sage: "Heute geht es nicht lang!" freue ich mich (und wundere mich manchmal, wer alles anruft) über jede und jeden, der oder die sich meldet. Das ist halt Besuch der infektionsarmen Art!

 

So, nun geht es wieder ins Zimmer. Danke für alles Lesen, Mitdenken, Anrufen, Beten und so viele gute Wünsche. Das trägt ganz schön!

Tag 11 - 7.12.2007

Es war eine kurze, durchwachte Nacht, nach der ich morgens gerädert in den Tag ging. Alle blutbildenden Knochen tun weh. Das ist ja ein gutes Zeichen, aber halt auch nichts, wenn man es den ganzen Tag ertragen muss und dann auch bei den kleinsten Verrichtungen außer Atem kommt.

Am meisten gehen mir die Infusionen auf den Keks. 3 Liter Wasser mit Kalium drin, dann noch drei Mal Antibiotika am Tag. Immer nur angeschlossen an die Schläuche, selten die Momente, in denen man ohne Anbindung herum marschieren kann.

Nachmittags und abends dann wegen der "dünnhäutigen Nervenlage" ein kleines Aneinandergeraten mit den Pflegekräften der Schicht.

Nicht schlimm aber genug, um Tränen auszulösen, ja, man wird emotionaler in diesen ganzen Therapien und man nimmt die Zwischentöne in dem, was Menschen zu einem sagen, ganz anders wahr, was ja nicht nur schlecht ist.

Ich merke, wie ich auf ein Abwiegeln von Problemen reagiere, nämlich mit Frust und werde mir das für meine Pastorentätigkeit hinter die Ohren schreiben.

Wenn jemand sagt, dass er mit diesem oder jenem ein Problem hat, dann ist es nicht an mir, ihm zu sagen, dass das doch eigentlich kein Problem sei!

Weg von der Fremdbestimmung und der Außendefinition des Lebens, hin zum offenen und rücksichtslosen Mitteilen, dann wird daraus etwas werden.

Später dann noch ein sehr gutes Gespräch mit einer Ärztin über diesen "Zwischenfall". Abgehakt!

 

Moral von der Geschicht?

"Deutlich sagen, was man möchte und den Tränen ruhig mal freien Lauf lassen."

 

Habe nachts zum besseren Schlafen das erste Mal eine kleine Einschlafhilfe genommen. Hat wohl auch gewirkt.

Ach ja, die Leukos waren gestern bei ca. 2000 angelangt, es geht also steil bergauf. Auch die Blutplättchen haben sich schon vermehrt...wer sagt es denn!

Tag 12-14 Reden wir nicht drüber

Wenn man drei Liter Flüssigkeit am Tag infundiert bekommt und sozusagen fast 24 Stunden nur am Tropf hängt, dann wird man mehr als melancholisch! In diesem Wasser, das halt den Flüssigkeitsspiegel hochhalten soll dann noch Kalium rein und die permanente Übelkeit (nicht sehr stark aber doch da!) ist gewährleistet.

Die letzten Tage waren nicht so gut, ich verbrachte sie halt auf dem Zimmer, schlafend, sitzend, etwas lesend, aber meist ohne große Begeisterung.

Seit dem 10.12. sind wir wieder zu zweit im Zimmer, ein netter Zimmernachbar, ca. 10 Jahre älter aus Bad Hersfeld hat sich zu mir gesellt. Er hat eine Fremdspendertransplantation hinter sich, also die gefährliche Variante der Stammzellenübertragung und hat das Ganze bisher recht gut verkraftet. Jeden Morgen hat er als 2. Frühstück 17 Tabletten einzunehmen, über den ganzen Tag runde 25.

Da bin ich mit meinen 2 am Morgen, 1 am Mittag und 2 am Abewnd ja echt ein Waisenknabe dagegen.

Was aber viel schöner ist, ist die Aussicht, evtl. am Freitag wieder nach Hause zu können, oder wie der Oberarzt meinte: "Am Wochenende wollen wir sie hier nicht mehr sehen!"

Nun, den Gefallen würden wir beide ihm gerne tun!

Ansonsten ist es halt ein elendes geduldiges Warten verbunden mit dem Gefühl körperlicher Schwäche und der Aussicht auf langsame Kräftigung, sobald ich wieder zu Hause bin.

Zwar werde ich zunächst auf größere Menschenansammlungen verzichten müssen und mich auch weiterhin hüten vor ansteckenden Krankheiten etc. pp, aber sobald man wieder zu Hause ist, ist doch vieles wieder einfacher und ermutigender als hier, wie gesagt, trotz aller guten Pflege.

Mit dem Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes wird es wohl nichts werden, denn da kommen zu viele Leute, aber am 26.12., wenn alle zu Hause bleiben, werde ich wohl gehen... (kleiner Scherz am Rande und Ermutigung an die Freude in Deensen,Heinade und den anderen Orten der Gemeinde, auch am 26.12. in die Kirche zu kommen).

Spruch des Tages (von Joseph aus Luxemburg geschickt):

 

"Ich habe keine Lust mehr, hier dumm rumzuhängen...,sagte die Glühbirne,...und brannte durch!"

 

Tag 16 - 12.12.2007 - Warten auf Freitag!

Es klingt fast nach Robinson Crusoe - "Warten auf Freitag", drückt aber meine augenblickliche Stimmung ganz gut aus. Die Ärzte sind ja nach wie vor davon überzeugt, dass ich Freitag nach Hause kann. Dazu müssen nun an den beiden folgenden Tagen weder Fieber noch sonstige Blutwerte sich irgendwie danebenbenehmen. Also bitte Daumen drücken, denn dann kann am Freitag der Zentrale Venenkatheder gezogen werden und ich kann gegen Mittag nach der Visite Richtung Heimat Heinade aufbrechen und endlich mal wieder "in Freiheit" leben.

Mittlerweile empfindet man diese wirklich schöne Station hier doch eher wie eine Untersuchungshaft. Hatte mir heute Morgen vorgestellt, wie das wohl ist, wenn man weiß, dass man noch 15 Jahre in seiner "Zelle" verbringen muss...ein ziemlich schrecklicher Gedanke.

Mit meinem neuen Zimmerkollegen verstehe ich mich auch wieder ganz gut. Manchmal ist es einfach witzig, wie man immer wieder über Essen redet, weil ja das Krankenhausessen auch nicht so prall ist. Da sitzen wir dann auf unseren Stühlen und schwärmen von Schnitzeln und gebratenen Enten, überlegen, was man wohl essen darf und was verboten bleibt und haben beide auch schon mal zu Hause die ersten Essen "bestellt", bei denen uns das Wasser im Munde zusammenläuft. So einfach kann die Welt werden. Man freut sich über diese kleinen Alltäglichkeiten mehr als über alles andere.

Gestern Abend hatten wir noch ein wenig Fußball geschaut und den "Untergang" von Werder Bremen miterlebt. Da es im hiesigen TV-System sogar Premiere gibt, kann man ausgiebig Fußball schauen.  Leider kommen diese Spiele oft so spät, dass man eigentlich gar nicht mehr gucken kann, ohne immer wieder die Augen zu schließen, denn Kraft ist nicht vorhanden. Der Körper hat genug zu tun, mit den eigentlichen Problemen fertig zu werden.

 

Motto des Tages:

"Zwei Liter Wasser am Tag zu trinken ist nicht einfach!"

 

Donnerstag, 13.12.2007 - Tag der Entlassung

Es ist so weit, man lässt mich wieder raus!

Ein bisschen ist es ja, wie wenn man aus dem Knast entlassen wird.

Ich warte nur noch auf die Visite, die mitzugebenden Brief, Rezepte, Krankschreibungen, Taxischeine etc. pp und dann geht es los. Wahrscheinlich wird es Mittag, denn meist kommt die Visite erst gegen 11.30h, aber das soll mir dann auch egal sein und dann freu ich mich einfach, wieder in gewohnter Umgebung leben zu können und trinken und essen zu können, was ich selber zubereite und mich nicht jeden Mittag überraschen lassen zu müssen, was man für mich ausgesucht hat.

Die nächsten 14 Tage gilt es dann noch Menschenansammlungen zu meiden, dann sollte das auch wieder gehen, dass ich mal in den Gottesdienst komme oder selber in größeren Märkten einkaufen gehe. Bis dahin werde ich halt eher zu Hause sein. Gesunder Besuch ist dort immer willkommen.

Das war also nun die Hochdosischemo mit Stammzellentransplantation. Geschätzte Kosten so bei 20.000€, wenn ich den Fallpauschalenkatalog richtig mit der Fallpauschale des hiesigen Krankenhauses multipliziert habe.

Ich meld mich dann wieder von zu Hause!

Motto für heute Abend: 

" Es geht doch nix über das eigene Bett!"

 

13.12. bis 18.12.2007 - zu Hause und doch Schach Matt!

Es war schön, nach Hause zu kommen. Und der erste Gang...führte mich ins Bett. Es ist halt doch alles sehr anstrengend gewesen und nach wie vor braucht der Körper Zeit, um die Strapazen zu verkraften.

Das Rindersteak mit Pommes frites habe ich mir gegönnt, gleich am ersten Abend, aber die folgenden Tage waren doch von recht eintönigen Bewegungen geprägt, die meist zwischen Bett und Sofa hin - und hergingen.

Noch bringe ich nicht die Kraft auf, um diese "Fatigue" wirklich zu überwinden, aber ich hoffe, dass dies in den nächsten Tagen über Weihnachten besser wird.

So bleibt mir nichts anderes über, als mich immer wieder hinzulegen.

Auch kleine Verrichtungen im Alltag belasten schwer. Am Sonntag musste ich mich nach dem Frühstück und der Morgentoilette wieder hinlegen, nichts ging mehr.

 

Viel mehr kann ich im Moment auch nicht schreiben. Heute Dienstag bin ich nach Holzminden zur Blutabnahme gefahren und war ganz stolz rauf, dies geschafft zu haben. Freitag muss ich dort noch einmal hin, um zu sehen, wie sich die Werte entwickeln.

Am 3.1. dann ist ambulanter Termin in Göttingen mit anschließender Diskussion, ob es noch einmal mit einer zweiten Hochdosis weitergehen muss (im Februar), oder ob ich dann erst einmal in Ruhe gelassen werde. Eigentlich bräuchte der Körper erst einmal eine Ruhepause, um Kräfte zu sammeln. Also heißer Diskussionsstoff mit den Ärzten.

Motto des Tages: 

"Ohne Geduld geht gar nix!"

31.12.2007 - Mut zur Lücke

Mut zur Lücke gilt nicht nur nach Zahnextraktionen, sondern auch in diesem Tagebuch. Habe eben gerade gesehen, dass ich die letzte Aktualisierung am 18.12. vorgenommen habe.

Mancher wird sich gefragt haben: Geht es ihm sooo schlecht?

Nein, manchmal hat man einfach keine Lust zu tippen und manche haben ja auch direkt von mir Mails erhalten, oder wir haben telefoniert.

Jetzt aber der Reihe nach:

Bis zum 22.12. war es echt kein Zuckerschlecken, ich war ja so was von platt nach den drei Wochen Göttingen, aber seitdem geht es wirklich besser, die Werte des Blutes haben sich erholt.

Mittlerweile protze ich mit einem HB-Wert von 11.0 und 232.000 Thrombozyten, ganz zu schweigen von 5300 Leukozyten...

Da kann man nicht meckern, wenn man bedenkt, wie das noch vor 3 Wochen aussah:

HB 7,5, Thrombos 24.000 und Leukos unter 20...es ist einfach der Wahnsinn, wie der Körper sich immer wieder berappelt!

Weihnachten war geruhsam. Da ich wegen der Menschenansammlungen und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr mit Freund Noro oder anderen, nicht in der Kirche war, blieb ich einfach im Haus. Es war für einen Pfarrer wie mich schon eigenartig, so "gottesdienstlos" Weihnachten zu feiern.

Den Baum haben wir zu Hause auch weggelassen, man weiß ja nicht, ob man sich nicht Pilze und Sporen ins Haus holt, aber dafür hab ich was Schönes gekocht und Weihnachtslieder haben ir trotz allem gesungen.

Am 27.12. waren dann die ersten 30 Tage "Hochsicherheitsperiode" vorbei und ich fange langsam wieder an, Normalität zu leben.

Dafür hab ich mir jetzt Bauchschmerzen zugezogen, die sich erst wie ein entzündeter Blinddarm anfühlten, aber wahrscheinlich ist es eher die Galle, die sich bemerkbar macht. War sogar zum Notdienst, aber der konnte nix Großes feststellen. Nun heißt es abwarten, schnelle Bewegungen vermeiden, kein Alkohol und keine fetten Sachen essen und wieder einmal auf die Geduld des Körpers hoffen...

Silvester feiern wir mit Freunden aus Lemförde...mit feschen karnevalsähnlichen Hütchen. Tröten gab es leider nicht. Und das Feuerwerk besteht aus witzigen "Tischfeuerwerk"-Kleinigkeiten. Es knallt also nicht bei uns!

Zumindest gehe ich davon bis jetzt aus.

Allen Lesern und "An-mich-Denker" und Beter wünsche ich ein gutes und segensreiches Jahr 2008.

Nicht "Hauptsache gesund", sondern "Hauptsache Vertrauen" wünschen.

 

Motto des Tages:

"Brennt der Bauer zum dritten Mal den Trester,

dann ist Silvester!"